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Star-Geiger Paul Huang stellt sich mit Tschaikowski vor.

Man wertschätzt die klassische Musik sehr im wachsenden Bürgertum Ostasiens. Vielleicht ernsthafter als im alten Europa, wo die Selbstverständlichkeit des Rangs der Klassik erodiert. Zahlreiche Musikerinnen und Musiker aus Japan, Südkorea, China und Taiwan spielen mittlerweile in europäischen Orchestern. Und es gibt auch ausgezeichnete Klangkörper vor Ort, wie das Taiwan Philharmonic aus der Hauptstadt Taipeh.

Das ist gerade auf Tournee und war Sonntagabend beim „Meisterkonzert“ im recht gut gefüllten Großen Haus desStaatstheaters Braunschweig zu Gast. So ein wunderbar groß besetztes Reiseorchester erlebt man selten unter den internationalen Ensembles in der Reihe der „Meisterkonzerte“. Dirigent ist seit 2022 der renommierte deutsche Maestro Jun Märkl (65). Und Solist an diesem Abend der taiwanesische Violinist und Wahl-New Yorker Paul Huang, der als einer der begabtesten Virtuosen seiner Generation gehandelt wird.

Paul Huang: Welche Farben verleiht er Tschaikowskis Violinkonzert?

Der 33-Jährige hat sich Tschaikowskis Violinkonzert vorgenommen, einen Hit des Repertoires also. Welche eigene Farben kann er ihm verleihen? Zarte, duftige zunächst. Huang kostet die weltumarmende Eingangs- und Signaturmelodie nicht zu üppig aus, er achtet sehr auf dynamische und klangliche Nuancierung. Die virtuosen Passagen spielt er mit enormer Sauberkeit und Transparenz.

Ebenso das Orchester, von Märkl mit federnder Akribie geleitet. Da greift alles klar und präzise ineinander und ist bis ins Detail genau gearbeitet. Nichts wird einfach laufen gelassen. Ganz hohe Spielkultur, wenn auch die sehr feine Gestaltung zuweilen die emotionale Wucht von Tschaikowskis Werk ein bisschen überdomestiziert. Doch das stört nicht wirklich, weil das Violinspiel Huangs bei aller Präzision auch einen enormen Drive hat, der zuweilen auch den Solisten für Momente regelrecht körperlich mitreißt.

Jun Märkl: Wie geht der Maestro Dvoraks Achte an?

Berückend dann der zweite Satz, in dem Huang seine Melodien geradezu haucht, im delikaten Zusammenspiel mit den ausgezeichneten Holzbläsern. Im flotten Dritten kann Huang dann wieder virtuos glänzen, mit übermütig tänzerischen Rhythmen und Läufen in einem Wahnsinnstempo. Der Sturm und Drang wird von Maestro Märkl immer wieder gezügelt, aber die Spannung bleibt bewahrt, bis zum rasanten Finale. Starker Beifall und eine Zugabe des Solisten: Rezitativ und Scherzo-Caprice von Fritz Kreisler.

Nach der Pause dann Dvoraks Achte. Böhmisch melancholische Süße, slawisches Temperament. Das Taiwan Philharmonic wechselt unter Märkls Leitung ansatzlos von weichem Streicher-Idyll zu feurig punktierten Tutti. Beim Adagio becircen erneut Klarinetten, Flöten, Oboen und Fagotte mit samtigen Kantilenen. Ein Genuss.

Taiwan Philharmonic: So klingen Werke aus der Heimat
Der dritte Satz bietet donaumonarchische Melodienseligkeit im schwungvollen Walzertakt. Der Finalsatz ist nicht Dvoraks allergrößter Wurf, mit seinen zwar sanglichen, aber auch länglichen Streicherstrecken und dem fulminanten, aber etwas abrupten Schluss.

Der Beifall für das so diszipliniert wie hervorragend disponiert aufspielende Orchester und seinen auswendig dirigierenden Maestro Märkl ist gleichwohl donnernd. Und das Taiwan Philharmonic stellt dem Braunschweiger Publikum auch zwei Werke aus seiner Heimat vor. „Taiwan ist eine wunderschöne Insel mit freundlichen, aufgeschlossenen Menschen. Aber leider großen Gefahren ausgesetzt, Naturkatastrophen wie eben jetzt, aber auch politischen. Doch die Menschen haben ein großes Herz, auch und gerade für die Klassik, und es bedeutet unserem Orchester viel, in Häusern wie diesen zu spielen“, schmeichelt Märkl mit Blick auf die altehrwürdigen Ränge des Braunschweiger Großen Hauses.

„Formosa, die Schöne“

Dann spielt das Taiwan Philharmonic als Zugabe ein Stück des Komponisten Tyzen Hsiao (1938-2015), „The Angel from Formosa“. Formosa ist der alte, von den portugiesischen Kolonialisten eingeführte Name Taiwans und bedeutet „die Schöne“. Das populäre Werk bietet sanften Streicherschmelz und dann auch Bläserglanz, klanglich oszilliert es zwischen Fernost und einem Hauch Hollywood.

Eingangs gab es das Orchesterstück „Tao of Meinong“ von der taiwanesischen Komponistin Yuan-Chen Li (43). Es ist von Meinong inspiriert, einem Dorf der Hakka, einer alten Kultur im Süden der Insel. Es nähert sich in drei Klangskizzen Leben und Bräuchen der Hakka an. Lis schimmernde Musik wirkt pentatonisch, also in Fünfton-Skalen angelegt, die für unser Ohr relativ offen, aber durchaus reizvoll klingen. Die Motivik entwickelt sich in ihren Klangbildern nicht linear, sondern eher so wie ein Spiegelbild in leicht bewegtem Wasser: ständig changierend und doch im Grunde gleich bleibend. Die Instrumentation ist vielfältig und farbenreich. Wie schon gesagt: ein Genuss.

Florian ArnoldBraunschweiger Zeitung