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Vor Braunschweiger Konzert wirbt Geiger Huang für Cross Culture

Zu den aufstrebenden jungen Künstlern am Klassik-Himmel zählt der 33-jährige Violinist Paul Huang aus Taiwan, der in Sälen wie dem Lincoln Center New York, der Londoner Wigmore Hall oder dem Festival Lucerne auftritt, aber auch schon im Pariser Louvre-Museum spielen durfte. Am nächsten Sonntag, 7. April, ist er bei den Braunschweiger Meisterkonzerten im Großen Haus des Braunschweiger Staatstheaters zu Gast. Sein Studium absolvierte Huang an der renommierten Juilliard School in New York, wo er seither lebt. Dort erreichten wir ihn zu einem Videogespräch.

-In Braunschweig sind Sie mit dem Taiwan Philharmonic und Tschaikowskys Violinkonzert zu hören, einem der Dauerbrenner des Repertoires. Welche Beziehung haben Sie zu dem Werk?

Ich habe Tschaikowskys Konzert schon mit 12 gespielt, damals habe ich es nicht wirklich geliebt, als Kind dringt man nicht so tief in ein Werk ein. Ich habe damals vor allem die virtuosen Effekte gemocht, das hat mir Spaß gemacht. Später habe ich es auch mal sieben Jahre ganz ruhen lassen und erst vor drei Jahren wieder angefangen, mich damit zu beschäftigen. Jetzt gehen mir vor allem die lyrischen Aspekte nahe. Ich spüre eher eine Nähe zu Mozart, mit einem romantisch-aufwühlenden Ende wie beim „Don Giovanni“. Das Intime, Introspektive, also in sich Hineinhorchende des Werks interessiert mich jetzt am meisten. Das spricht sich besonders in den feinen Dialogen zwischen der Solo-Violine und einzelnen Orchesterstimmen aus. Das ist dann wie Kammermusik. Im ersten Satz gibt es natürlich die virtuose Kadenz, aber wenn dann die Soloflöte wie von Weitem wieder dazukommt, dann liegt darin eigentlich der Zauber, und darum muss ich die Kadenz gut spielen, damit man diese Zärtlichkeit nachher in der Wiederbegegnung spürt. Im zweiten Satz gibt es dann diesen schönen Dialog mit der Klarinette, und im dritten Satz ganz eigene Momente mit den anderen Holzbläsern, auf die ich eingehen und reagieren muss. Darum ist es wichtig, mit einem Orchester zu spielen, das man gut kennt.

-Und das ist beim Taiwan Philharmonic der Fall...

Ja, ich war dort 20/21 Artist in Residence, und ich spiele mit einigen der Solisten in Kammermusik-Ensembles. Ich kann sagen, ich kenne die Musiker als Menschen und als Künstlerinnen und Künstler. Und mit dem Dirigenten Jun Märkl habe ich schon die Violinkonzerte von Walton, Barber, Korngold und Beethoven gespielt, auch das seltene von Richard Strauss. Und wir haben zusammen das Violinkonzert „Genesis“ vonToshio Hosokawa aufgenommen, das im Juni bei Naxos erscheint. Wir haben ein gutes Gespür füreinander.

-Von Hosokawa wurde jüngst am Staatstheater Braunschweig die Oper „Hanjo“ in einer Inszenierung von Isabel Ostermann als Video aufgezeichnet. Das hätten wir hier vielleicht auch ganz gern gehört. Neben Tschaikowsky stehen im Meisterkonzert Dvoráks 8. Sinfonie und ein zeitgenössisches Stück der taiwanesischen Komponistin Yuan-Chen Li auf dem Programm. Suchen Sie sich die Stücke selbst aus?

Ich bin hier Teil der Europatournee des Taiwan Philharmonic, das Programm wird in Absprache mit den Veranstaltern erstellt. Da wird gern auf das Traditionelle zurückgegriffen. Das liegt auch daran, dass diese Stücke unterwegs nicht so viele Proben brauchen. Für die selteneren Stücke muss man mehr proben, die macht das Taiwan Philharmonic dann lieber zu Hause. Ich hätte auch gern Hosokawa gespielt, aber ich bin nicht der Star-Cellist Yo-Yo Ma, der sich aussuchen kann, was er gibt.

-Dabei sind Sie für viele Uraufführungen gefragt.

Mit Mitte 30 sollte man daran denken, die Kunst weiterzugeben. Ich bin jetzt Professor für Geige in Taipeh, und ich freue mich, spannende Werke aus der Taufe zu heben. Ich werde eine Uraufführung von Lou Harrison für Violine und Perkussion spielen, das war meine Idee, weil ich den elementaren Klang des Schlagwerks eine gute Ergänzung zur singenden Geige finde. Und ich mag Cross-Culture-Projekte wie unser Konzert im Kennedy-Center mit Stücken der taiwanesischen Komponistin Ke-Chia Chen und des Amerikaners Kenji Bunch.

-Wir staunen in Europa immer darüber, wie viele gute Interpretinnen und Interpreten klassischer westlicher Musik aus Japan, Korea, China und Taiwan kommen.

Die westliche Klassik war vor circa 60 Jahren noch neu für den Fernen Osten. Japan hatte schon eher Kontakt, aber viele andere Länder waren arm, bekamen erst durch den Handel mit dem Westen auch Zugang zu dessen Kultur und Musik. Meine Eltern gehören zur ersten Generation, die nicht mehr mit einem Krieg im eigenen Land konfrontiert war. Endlich konnte man sich der Bildung widmen, den Kindern auch westliche Kunst vermitteln.

-Woher gerade die Begeisterung für die Klassik?

Große Kunst ist für alle interessant, ob sie aus dem Westen oder Osten kommt, und wir sollten sie alle teilen. Musik ist eine universelle Sprache, egal wer du bist, wir können sie alle spielen und schätzen, in ihr sind wir alle gleich. Sie ist kein Land mit Einreisebestimmungen und Grenzabwehr.

-Gerade in der Klassik gab es immer besondere Klangtraditionen, etwa der Berliner oder Wiener Philharmoniker oder russischen Geigenschule. Klingt ein taiwanesischer Tschaikowsky nun anders oder ahmt er die russische Schule nach, die man auf Tonträger und im Netz hören kann?

Tatsächlich ist eine große Gefahr heute, dass die Persönlichkeit verloren geht. Auf Youtube und Co kann man alles hören und sich zum Vorbild nehmen, und weil alle das gleiche hören, klingt dann auch alles gleich. Ich hatte bisher einen Lehrer in Taiwan, einen in Amerika, und ich suche nach einem dritten, nach einer authentischen Stimme, die etwas Eigenes zu sagen hat, damit ich daran wiederum meine eigene Stimme, meinen speziellen Ansatz weiterentwickeln kann. Technisch sind heute alle besser als früher, aber musikalisch müssen wir sehr aufpassen, dass wir unabhängig denken und wirklich unseren eigenen Impulsen folgen. David Oistrach, das war ein ganz eigener Klang, jeder hatte damals seinen ganz besonderen Klang, daran müssen wir arbeiten.

-Wird der Klang nicht auch von der Interpretation bestimmt? Wer Tschaikowsky als problematisches, mit sich ringendes Ich im Konflikt mit der Gesellschaft sieht, wird ihn auch härter und zerborstener spielen...

Ja, man muss wissen, was man interpretatorisch erzählen will. Ich habe einen Klang in meinem Kopf, bevor ich noch eine Note gespielt habe. Aber das ist wieder ein eigener Kampf, diesen Klang dann auch wirklich zu erreichen! Da kann man nie sicher sein. Und was man selber mit seinem Instrument direkt am Ohr hört, ist auch wieder anders als das, was beim Publikum ankommt. Darum sind CD-Aufnahmen so wichtig, damit man einen Eindruck bekommt, wie das im Saal klingt.

-Und auf Tournee klingt wieder jeder Saal anders. Testen Sie das in Braunschweig nochmal aus?

Ein Orchester lernt auf Tournee unheimlich viel über Klang. Anderthalb Stunden vor Saalöffnung spielen wir uns in jedem Saal ein. Aber mit Publikum klingt es dann auch wieder anders. Geprobt wird dann nicht mehr auf Detail. Eine gewisse Frische und Spontaneität sind gerade auf Tournee wichtig, man muss Vertrauen haben zu seinen Mitspielenden. Am Ende ist es wieder wie Kammermusik, jeder muss auf jeden hören.

-Wie bereiten Sie sich selbst vor? Alles nochmal im Hotel durchspielen?

Ich mache eher technische Proben, trainiere die Beweglichkeit der Finger, wiederhole schwierige Passagen, aber ich spiele nicht mit Emotion, das bleibt für den Abend.

 

Andreas BergersBraunschweiger Zeitung